PRESSE

philoro Experteninterview Prof. Dr. Schnabl

Interview mit Prof. Dr. Gunther Schnabl

Schnabl: Wir haben in den Industrieländern ein Wohlstandsniveau erreicht, das durchaus mehr Bescheidenheit erlauben würde. Wir könnten durchaus auf die eine oder andere Urlaubsreise oder den einen oder anderen goldenen Dekoengel gut verzichten. Allerdings brauchen wir Wachstum, um Verteilungskonflikte zu vermeiden. Wenn eine Bevölkerungsgruppe – z.B. Ärzte – höhere Löhne fordert ist dies bei Nullwachstum nur auf Kosten einer anderen Bevölkerungsgruppe – z.B. den Krankenschwestern – zu lösen. Stagniert das Wachstum, was für die kommenden Jahre kein unrealistisches Szenario ist, dürften sich Verteilungskonflikte mehren.

Philoro:  In Ihrem Blog haben Sie bereits Anfang letzten Jahres das Aufblasen von Zentralbankbilanzen kritisch beäugt. Kommt die Europäische Zentralbank ihrer Aufgabe hinreichend nach, für Geldwertstabilität zu sorgen, oder ist dieses Ziel bereits durch die bloße Tatsache verfehlt, dass eine Geldschöpfung aus dem Nichts erlaubt ist?

Schnabl: In Hinblick auf die Stabilität der Konsumentenpreise hat die Europäische Zentralbank, wie andere Zentralbanken auch, ihr Ziel vorbildlich erfüllt. Allerdings hat das unkontrollierte Aufblasen der Zentralbankbilanzen als Reaktion auf Finanzmarktkrisen zu unkontrollierbaren Spekulationswellen auf den Finanzmärkten geführt, die ähnliche Effekte wie Inflation nach sich ziehen: Umverteilungseffekte zugunsten weniger Privilegierter, Druck auf die Reallöhne großer Bevölkerungsschichten sowie sinkende Investitionen und Wachstum. Dies ist in den Industrieländern, vor allem in Japan und Europa offensichtlich.  Aus meiner Sicht dürfen die Zentralbanken deshalb die Auswirkungen sehr expansiver Geldpolitik auf den Finanzmärkten in Form von Boom-und-Krisen-Zyklen nicht mehr länger ignorieren. Sie sollten ihre Bilanzen endlich im Zaum halten.

Philoro: Glauben Sie, dass wir uns aktuell in einem Crack Up Boom / einer Katastrophenhausse befinden, oder sehen sie eine nachhaltige wirtschaftliche Entwicklung.

Schnabl: Ich denke, dass die derzeitige wirtschaftliche Erholung weitgehend von billigem Geld getragen wird und deshalb nicht nachhaltig ist. Die Frage ist nur, ob es irgendwann zum großen Krach kommt. Ich denke eher nicht, da der große Kollaps immer durch eine Verstaatlichung des Finanzsektors verhindert werden kann. Wir dürften diesen Weg schon weiter gegangen sein, als viele denken mögen. Mein Szenario ist deshalb eher ein japanisches: eine lang anhaltende Stagnation mit einzelnen Erholungsphasen bei schleichendem Wohlstandsverfall.

Philoro: Glauben Sie, dass eine Intervention der Politik in die Finanzmärkte sinnvoll ist, oder würden Sie die Märkte sich selbst überlassen?

Schnabl: Kurzfristig sind Interventionen sinnvoll, weil sie in der Not die Finanzmärkte stabilisieren und Ansteckungseffekte verhindern. Langfristig sind sie der Nährboden für neue spekulative Blasen und noch größere Krisen. Deshalb wäre es zielführend gewesen, schon seit den 80er Jahren bei Finanzmarktkrisen die Märkte sich selbst zu überlassen. Damals hätten die Selbstheilungskräfte des Marktes noch ohne große Krisen wirken können. Das wäre ein Signal an die Märkte gewesen, nicht zu spekulieren. Weil dem aber nicht so war, antizipieren heute die Finanzmärkte die öffentlichen Rettungsaktionen und spekulieren deshalb umso freizügiger. Inzwischen ist das Krisenpotential, das man aufgebaut hat, so groß, dass geldpolitische Rettungsaktionen unvermeidbar sind.

Philoro: Apropos Finanzmarktkrise – die Weltwirtschaftskrise 2008/2009 war das Resultat von Exzessen im Immobilienbereich, von Fehlinvestitionen, spekulativen Blasen, ausgelöst durch ein Überangebot von billigem Geld über einen langen Zeitraum hinweg. Wurden Ihrer Meinung nach diese Fehlentwicklungen korrigiert?

Schnabl: Nur sehr bedingt. Dadurch dass die Finanzmärkte mit noch mehr billiger Liquidität geflutet wurden, wurden viele Fehlentwicklungen einfach zugedeckt bzw. zementiert. Es konnten zwar in den europäischen Krisenländern einige Reformen auf den Weg gebracht werden, doch entstehen auf dem Rücken der bisher beispiellosen geldpolitischen Rettungsaktionen neue Verzerrungen, so zum Beispiel auf vielen Aktienmärkten und Märkten für Unternehmensanleihen. Ebenso sehe ich immense Verzerrungen in vielen aufstrebenden Volkswirtschaften.

Philoro: Das Ausmaß der Verschuldung in den OECD Staaten hat ein historisch einzigartiges Ausmaß angenommen und beträgt teilweise ein Vielfaches des jeweiligen BIPs. Ein wichtiger Grund dafür ist, dass die Verschuldung des Finanzsektors in die öffentlichen Haushalte transferiert wurde. Wie sehen Sie diese Entwicklung?

Schnabl: Auch diese Entwicklung geht von den Zentralbanken aus. Diese emittieren billige Liquidität, die die Finanzinstitutionen zur Spekulation verleitet. Wenn spekulative Blasen platzen, kommen die Finanzinstitute in Schieflage und müssen vom Staat gerettet werden. Entweder müssen diese mit Steuergeldern rekapitalisiert werden – was schmerzhaft ist – oder mit der erneuten Flutung mit Liquidität stabilisiert werden. Auch wenn die Anpassungslasten der geldpolitischen Rettungsaktionen zunächst nicht so deutlich werden, ist das ein Teufelskreis.

Philoro: Es gibt vielfach Angst vor Inflation. Viele Leute haben Angst, dass unser Vermögen wieder auf irgendeine Art und Weise stark entwertet wird. Können Sie das nachvollziehen?

Schnabl: Mit Blick auf die Bilanzen der Zentralbanken, die immens aufgeblasen wurden, ist die Inflationsangst begründet. Allerdings haben wir in den letzten Jahrzehnten beobachtet, dass strukturelle Zinssenkungen gegen Null nicht mit dem Anstieg von Konsumentenpreisinflation verbunden waren. Die Inflation hat mehr in den Finanz- als in den Gütermärkten stattgefunden. Das Ergebnis ist übrigens ähnlich wie das von Inflation. Verschuldung wird begünstigt. Die Inflationierung der globalen Vermögenspreise war mit einem Rückgang des Wachstums und Umverteilungswirkungen zugunsten einiger weniger verbunden. Mich beunruhigt die reale Entwertung von Ersparnissen durch Finanzmarktrepression, wie sie in vielen Industrieländern bereits zu beobachten ist.

Philoro: Wie hoch sollte der Goldbestand eines Landes wie Deutschland sein, um einen effektiven Inflationsschutz bieten zu können?

Gold kann dazu beitragen, bei inflationären Tendenzen auf Güter- und Vermögensmärkten einem Vermögensverlust entgegenzuwirken. Allerdings ist der Goldpreis auch großen Schwankungen unterworfen. Einen optimalen Goldbestand kann man leider sehr schwer bestimmen.

Philoro:  Sehen Sie aktuell eher inflationäre oder deflationäre Tendenzen in den Industrieländern? Inwiefern glauben Sie, dass die Geldumlaufgeschwindigkeit einen Einfluss auf die zukünftige Entwicklung haben wird?

Schnabl: Neuer Instabilität auf den internationalen Finanzmärkten dürfte mit noch größerer monetärer Expansion durch die Zentralbanken begegnet werden. Dies muss nicht zwingend zu Inflation führen. Denkbar ist auch, dass es wie in Japan zu einer schrittweisen Verstaatlichung der Finanzsektoren und damit indirekt auch der Unternehmen kommt. Die Versuchung könnte auch groß sein, inflationären Tendenzen auf Güter- und Finanzmärkten mit Preiskontrollen zu begegnen. Das Ergebniss wäre die schrittweise implizite Verstaatlichung unseres Wirtschaftssystems, die mit einer anhaltenden Stagnation cum Deflation verbunden wäre. Diese Entwicklung könnte mit einer sinkenden Geldum-laufgeschwindigkeit verbunden sein.

Philoro: Wie sehen Sie die aktuelle Inflationsrate – ist sie den Umständen entsprechend zu hoch oder angemessen?

Schnabl: Die aktuelle Inflationsrate ist aus meiner Sicht angemessen. Selbst eine Deflation von 1% wird aus meiner Sicht die Menschen nicht dazu bewegen, Konsum in die Zukunft zu verschieben.

Philoro: Vor mehreren Dekaden war im sogenannten Bretton-Woods-System der US Dollar als Leitwährung mit Gold hinterlegt. Was würden Sie von einem neuerlichen Goldstandard halten und welche wäre die Leitwährung?

Schnabl: Das Bretton-Woods-System war so lange stabil, solange die USA als Leitwährungsland geldpolitische Stabilität verfolgten. Als die USA zu hohe Staatsausgaben mit der Notenpresse zu finanzieren begannen, wurden inflationäre Dollars in Gold getauscht. Der Verlust der Goldreserven hat die USA schließlich dazu bewegt, die Goldbindung des Dollars aufzulösen. Dies hat in Europa zu einer Entkopplung vom Dollar geführt. Der Rest der Welt ist aus Mangel an Alternativen an den Dollar gebunden geblieben, so dass der Dollar auch ohne Goldbindung nach wie vor Weltleitwährung ist. Leider verleitet dieser informelle Dollarstandard, der Giganten wie China, Japan und Indien umfasst, die USA dazu hohe Kosten von Kriegen und Finanzmarktstabilisierung auf die Peripherieländer des Weltdollarstandards zu verschieben. Eine erneute Kopplung des Dollar an Gold könnte helfen, die Instabilität zu vermeiden, die mit der sehr expansiven Geldpolitik der USA verbunden ist. Allerdings müsste dazu die USA die Initiative ergreifen. Das ist eher unwahrscheinlich.

Philoro: Welche Rolle könnte ihrer Meinung nach Gold in einer modernen Finanz- und Wirtschaftswelt spielen?

Schnabl: Ich sehe derzeit für Gold keine zentrale Rolle im Weltwährungssystem. Allerdings könnte die Nachfrage nach Gold weiter steigen, wenn mit der anstehenden geldpolitischen Straffung in den USA die Instabilität in aufstrebenden Volkswirtschaften und den Finanzmärkten in den großen Industrieländern wieder zunimmt. Da die Wertaufbewahrungsfunktion des Dollars und aller anderen Währungen untergraben würde, könnte die Attraktivität des Goldes weiter steigen.

Durch das Interview führten Christian Brenner und Marcus Elsner (philoro EDELMETALLE)